Dienstag, 20. Juni 2017

Das Performing Arts Festival – ein Rückblick aus Bloggerinnensicht

Sechs Tage lang haben wir das  Performing Arts Festival 2017 begleitet – mit Kritiken und Chatgesprächen, Fotos und Videos. Was ist uns aufgefallen, was hat uns begeistert, was verstört? Ein kollektiver Rückblick.

© Janne Hagge Ellhöft



Weite Umarmung
Ganz ehrlich: Am Anfang habe ich nicht an das Konzept geglaubt. Über 120 Produktionen an 60 verschiedenen Orten, die für mich zusammen nur ein überforderndes Programm ergaben. Doch die vergangenen sechs Tage Festivaltrubel haben mich eines Besseren belehrt. Die Freie Szene hat ihre Arme weit nach der Stadt, und auch nach mir, ausgestreckt. Ich habe nicht nur ganz unterschiedliche Theaterformen erlebt, tolle Orte entdeckt, sondern auch sehr interessante Menschen kennengelernt. Janne Hagge Ellhöft

Passend
Eine PAF-Impression: Ich kehre nach der Pause zu einer Vorstellung zurück, der in meinen Augen eine dringend notwendige Dramaturgie fehlt, in der sich Szene an Szene reiht und mir nicht ganz klar wird, was es hier eigentlich zu verstehen gibt. Im Vorbeigehen höre ich den Kommentar einer*s anderen Besuchers*in: "Das Beste was ich seit Langem gesehen habe. Und ich war gerade bei Castorf!" Passend! Luzi Renner-Motz

Ein Kreis schließt sich
Viele Performances. Nächtliche Reflektionen und Schreibaktionen. Wenig Schlaf – ich will die letzten fünf Tage nicht missen. Das Interview mit Bridge Markland hat letzte Woche den Auftakt für diese doch etwas überladenen Tage gegeben und es war wahnsinnig schön, sie dann in der Brotfabrik mit "faust in the box" auf der Bühne zu sehen – eine runde Sache. Aisha Mia Lethen

Dialog ohne Worte
Meine absolute Lieblingsperformance war "Mira Fuchs" von Melanie Jame, die mich nachhaltig berührt und durcheinandergebracht hat. So viel Spannung habe ich selten in einem Theatersaal erlebt. Ein toller Balanceakt: Im einen Moment ist man ausgestellt, den Blicken der Anderen völlig ausgesetzt. Dann entlässt sie einen wieder ins Halbdunkle und hinter die eigene ernste Miene. Sie schafft einen Dialog ohne Worte, aber von immenser Intensität, stellt Fragen über Öffentlichkeit von Intimität, über Machtstrukturen, über die Ökonomie von Nähe. Danke, "Mira Fuchs". Talea Scholz

© Alina Bader

Wind im Birkenwald
Auf der Suche nach der Shakespeare Company habe ich den Naturpark Schöneberger Südgelände entdeckt. Was auf Google Maps nach einer unscheinbaren Grünfläche aussieht, entpuppt sich bei einem Streifzug als Spielwiese für Künstler und Kreative. Der ehemalige Rangierbahnhof beherbergt nicht nur Wiesen und kleine Wälder, sondern auch Stahlkunstwerke, Baumhäuser, verrostete Bahnrelikte, einen Wasserturm, eine alte Lokhalle. Mittendrin: Die Bühne der Shakespeare Company, die ans Londoner Globe Theater erinnert. Auch wenn "Macbeth" an diesem Abend weniger überzeugt, sorgt der Ort für eine besondere Stimmung: Während der Vorstellung rauscht der Wind durch den Birkenwald, die Vögel zwitschern und die untergehende Sonne ersetzt die Bühnenbeleuchtung – es kommt Sommer- und Festivalstimmung auf. Friederike Oertel

Künstler auf der Flucht
Besonders in Erinnerung geblieben ist mir das Schauspiel "Your love is Fire“. Mit dem Regisseur Rafat Alzakout hatte ich nach der Performance ein Gespräch über Künstler, die aus ihrem eigenen Land flüchten mussten. Dort können sie nicht mehr an Projekten arbeiten, ohne sich in Gefahr zu bringen. Rafats persönliche Lebensgeschichte hat mich sehr berührt. Lynn-Sophie Uebbing

Nebel wabert in den Katakomben
Es gab viele schöne Momente beim PAF. Die lockere Stimmung in der Bar im Theaterdiscounter zum Beispiel. Mein Highlight aber war der alte Wasserspeicher im Prenzlauer Berg, der mich mehr faszinierte als die Performance darin. Durch den Vorhang am Einlass betritt man eine andere Welt. Die Temperatur fällt und man beginnt zu frösteln. Vergessen ist der laue Sommertag. Nebel wabert in den Katakomben des Speichers; Säulen, Bögen und Treppen teilen ihn in eine Vielzahl von Winkeln und Räumen. Kälte, Licht und Nebel schaffen eine Atmosphäre, die mich tief berührt. Talea Scholz

Nicht interpretierbar
Es ist gar nicht so sehr Mazy Mazeltovs Glitzerperformance "Salvation", die mich umhaut. Aber sie schafft einen offenen, queeren safe space, in dem für einen Moment die Utopie spürbar wird, von der die Welt da draußen doch noch so weit entfernt ist. Weder Kleidung noch Körperlichkeit und Stimme sind gegendert. Lesbische Menschen, nichtbinäre Menschen, Menschen mit und ohne Behinderung, einzelne und viele Menschen tanzen hier zusammen, ohne dass irgendeine dieser Kategorien gerade in irgendeiner Weise interpretierbar wäre. Vor der Alten Münze wartet dann wieder das nächtliche Berlin auf mich. Die Stadt hat nichts mitbekommen von dem, was dort eben existiert hat. Luzi Renner-Motz

© Alina Bader
Mut zu Körperflüssigkeiten
Obwohl die Performance "TOODRYTOCRY" des Künstlerkollektivs Sanierte Altbauten seinem Publikum stellenweise arg viele Metaphern, Assoziationsketten und Referenzen zumutet, überzeugt das Stück mit seiner Konstruktion und Dekonstruktion von Körperbildern. Die zwei Performerinnen Sarah Kindermann und Eva Hintermaier erschaffen zunächst eine Idylle aus blauen Wellen und meditativen Meeresrauschen, um sie dann vor den Augen der Zuschauer zu zerstören. Es gehört Mut dazu, nicht nur die Leinwand, sondern auch den eigenen Körper zur Projektionsfläche zu machen, sich auf der Bühne von allen Hemmungen, Gewohnheiten und Konventionen zu lösen und sich ganz dem Körper samt Körperflüssigkeiten hinzugehen. Beeindruckend! Friederike Oertel

Schleudertanz
Enis Turan in „Beauty and the Beast“ war mein persönliches Highlight. So eine Bühnenpräsenz wie bei ihm habe ich auf dem PAF selten gesehen. Ob mit Stimme, Gesicht oder Körper, er war präsent und stand zu allem, was er tat. Seine Bewegungen, dieser Schleudertanz, bei dem man ständig denkt, dass er gleich umkippt, und er seine Spannung trotzdem hält, war sehr schön anzusehen. Klaudia Lagozinski

Blick hinter die Kulissen
Von einem Massaker auf Puppen, die einen Ausweg aus ihrem Alltagswahnsinn suchen und Tod ernten, zu dem Aufprall von Weltschmerz der weisen Alten und Tatkraft der jungen Wilden bis hin zu dem erfrischendem Einblick in das Durcheinander einer durchgeknallten Mittdreißigerin haben mir insbesondere die einzigartigen, aufregenden Veranstaltungsorte und die mir neuen Künstler*innen der Freien Szene imponiert. Bei so viel Auswahl habe ich das Gefühl, sehr viel verpasst zu haben und trotzdem eine schöne Quintessenz mitnehmen zu dürfen. Vor allem der Austausch, das Ins-Gespräch-kommen mit Künstler*innen ermöglichte den Blick hinter die Kulissen. Der Blick ins Off warf jedoch folgende Fragen auf: Wie frei ist die Freie Szene? Künstlerische Freiheit vs. Finanzielle Unterstützung? Wo bleibt die Kohle/ die Sicherheit? Lilith Jogwer

Tolle Gespräche und Diskussionen
Sechs Tage hatten wir die Chance, in die Freie Szene der Berliner Theaterlandschaft einzutauchen. Das Überangebot war für mich zu Beginn etwas überfordernd, zeigt aber auch, wie viel Potential in der Freien Szene herrscht. Meine Höhepunkte waren weniger die Inszenierungen an sich, sondern das Zusammentreffen der Szene an kulturell wichtigen Orten. Berliner Hinterhöfe erwachten zum Leben, gaben Raum für Austausch und Kunst. Besonders beeindruckend fand ich die Offenheit der Kreativschaffenden. Es entstanden tolle Gespräche und Diskussionen. Lisa Mutschke

In der Gruppenumarmung
Im Rahmen der Nachwuchsplattform schaute ich am Freitag im Hochzeitssaal in den Sophiensaelen die Arbeit "OBNIMASHKI" der Choreographin Anna Aristharkova. Eine alltägliche Geste, die Umarmung, wird hier zum Untersuchungsgegenstand einer ganzen Choreographie. Am Ende werden wir zur Partizipation auf die Bühne eingeladen. Inmitten schwitzender Körper werde ich Teil eines riesigen Group-Hug. Ein schöner Moment. Janne Hagge Ellhöft

Das ACUD © Klaudia Lagozinski

Die meisten Lacher
Bemerkenswert war das letzte Drittel von Tour 1. Zum einen, weil ich da das ACUD- Theater kennenlernte – es gibt so viele kleine Häuser überall in der Stadt, die eher unbekannt sind. Das ACUD ist liebevoll gestaltet, besitzt einen improvisierten Charme, etwa der Eingangsbereich mit pastellfarbenen Bierbänken und einem Wandgemälde. Dass dann noch die Clownerie-Künstlerin Lena Binski in „Die 7 Leben des Fräuleins B.“ zumindest bei mir für die meisten Lacher während des PAFs sorgte, machten den Abschluss meiner Tour zu einem Höhepunkt. Klaudia Lagozinski

Fehlende Worte
Der erste Abend mit "Your Love is Fire" war nicht nur ein sehr bewegendes Stück, sondern hat vor allem einen spannenden Background – das viel über die Theaterlandschaft in Berlin aussagt. Und nach so vielen geschriebenen Worten fehlen sie mir an dieser Stelle. Aïsha Mia Lethen

Nicht nur ein Mal im Jahr
Gestern saß ich in der Kantine in den Sophiensaelen, der Umarmungsautomat, der hier vorgestern in reger Benutzung war, ist leider geschlossen. Schade. Später auf dem Heimweg blättere ich in der U-Bahn schon beinahe melancholisch durch das Festivalprogramm. Ich muss an die Vorstellung von "Bahnwärter Thiel" im Theaterdiscounter denken. Dass wir immer das Gefühl haben etwas zu verpassen. Lächelnd schlage ich das Programm zu. Denn so vielfältig wie in diesem "Heftchen", besteht die Freie Szene in Berlin zum Glück noch 359 weitere Tage im Jahr. Ich würde jetzt gerne jemanden zurückumarmen, aber weil ich niemanden in meinem Waggon in eine unangenehme Situation bringen möchte, drücke ich meine Arme fest um meinen Körper. Janne Hagge Ellhöft