Ein Gespräch mit Bridge Markland. Über classic in the box, Gender-Performances, 32 Jahre auf der Bühne und davon, dass es trotzdem nicht leichter wird.
Hinterhof, 4. Stock, mitten in Neukölln: Relativ spontan treffe ich Bridge Markland zum Interview an ihrem Küchentisch. Seit 1983 wohnt sie in dieser Wohnung. Mit ihrer markanten Stimme hangelt Markland sich von einer Anekdote zur anderen. Es macht Spaß ihr zuzuhören. Wie sie so offen und ehrlich, in ihrem rosafarbenen Männerhemd den Raum einnimmt. Eine Unterhaltungskünstlerin, die auch gerne mal eine Frage vergisst. Es gibt selbstgemachten Erdbeersmoothie aus dem Mixer ihres Untermieters. Markland, Wilson-Fan seit 1988, kommt gerade aus dem Berliner Ensemble. Die letzte Vorstellung von Peter Pan: „31 Euro, scheiß egal! Das muss jetzt sein.“
Bridge Markland – ist das ein Künstlername oder hast du den von deinen Eltern?
Ich heiße Brigitte. Mein Vater war jüdischer Abkunft. Er war in der Hitlerjugend, um nicht aufzufallen. Mit 17 ist er eingezogen worden und in Kriegsgefangenschaft geraten, in Russland. Er ist nach England ausgetauscht worden und hat aus Markgraf Markland gemacht, so heiße ich wirklich. Er ist irgendwann als Besatzungssoldat nach Berlin zurückgekommen. Hier hat er meine Mutter kennengelernt und dann wurde ich im Englischen Militärkrankenhaus in Berlin-Spandau geboren. Das war 1961. Anfang der 90er war ich sehr viel in New York. Da habe ich zu den Leuten gesagt: Nennt mich Bridget, weil sie Brigitte nicht aussprechen konnten und ich Brigitte eigentlich nie mochte. Ein Kumpel hat dann irgendwann so cool Amerikanisch „Yo, Bridge!“ gesagt. Und da habe ich zu ihm gesagt „Yo, Josh! That’s my new name. Bridge!“ Und seitdem heiße ich Bridge.
Im Film Venus Boyz sagst du, dass du auf der Brücke zu Hause bist. Wohin führt diese Brücke, was verbindet sie?
Nachdem ich eben so hieß, ist mir dann aufgefallen, dass ich mich ja eh schon seit ein paar Jahren mit Transformationen beschäftigte und plötzlich war der Name dem noch angepasst worden, nicht als konzeptioneller Künstlername, sondern als Weiterentwicklung meines eigentlichen Namens, also so völlig organisch. Mich interessiert ja auch in der Performance das Passing nicht so sehr, also dass ich wirklich als Mann oder Frau anerkannt werde. Das ist sozusagen die Brücke.
Also ein Brücken-spannen zwischen dem binären Geschlechterverständnis. Jetzt sind aber Klassiker dran?
Ich bin 2005 bei den Klassikern gelandet, weil mich ein Kollege gefragt hat, ob ich nicht mal was zu Schiller machen will. Das Schiller-Palais an der Schiller Promenade, im Schiller Jahr 2005: Da habe ich angefangen mit „schiller in the box“.
Und jetzt bist du mit „faust in the box“ und „räuber in the box“ auf dem PAF. Was erwartet mensch da auf der Bühne?
Im Faust spiele ich Mephisto, Faust und Gretchen im schnellen Wechsel. Ein bisschen wie Jack in the Box, der da aus dieser Kiste rauspoppt. Ich gucke, wie dieser klassische Theatertext sich in moderner Popmusik und in Schlagern wiederfindet und wie die miteinander korrespondieren. Daraus entsteht eine witzige Collage. Sowohl Goethe als auch Schiller sind sehr frech und provokant in ihren Stücken und das spiegelt sich in meinen Popsongs wider.
Wie kamst du auf diese Idee?
Das ist eine organische Entwicklung gewesen. Ich mag es, wenn man mich fragt und mir ein Thema vorgibt, das ich mir dann zu eigen mache. Dann habe ich aber plötzlich ein neues Publikum gekriegt, haben die Bildungsbürger darauf reagiert. Das hat mich zum Nachdenken gebracht und ich habe mich coachen lassen. Gleichzeitig hatte ich schon die Idee zu „Faust“ – ich will Mephisto spielen. Aber ich spiele nicht nur Mephisto, ich muss die Anderen auch spielen. Weil ich Verwandlungskünstlerin bin. Das heißt, ich habe meine Gender-Performance in die Klassiker reingetan. Dummerweise hat sich die Queer-Szene nicht mehr besonders dafür interessiert.
Wie würdest du die Klassiker denn einordnen?
Man kann sagen, dass ich Gender-Performance mache mit den Klassikern, eine Playback-Show, eine Drag-Show. Eigentlich ist es aber Sprechtheater, Puppentheater, Körpertheater. Es ist von jedem etwas drin und dadurch auch besonders schön. Lachen kann man auch ganz viel, weil es durch diese Popsongs teilweise wahnsinnig witzig ist. Weinen kann man auch, weil ich die ganzen traurigen Sachen nicht rausnehme, sondern mir wichtig ist, die ganze Spannbreite drinzuhaben. In „Faust“ sind 98 Songs drin, in „Räuber“ 157!
Also auch wieder ein Brücken-spannen zwischen den verschiedenen Genres.
Ganz genau. Man kann mich nicht einordnen.
Sind das alles Solos oder gibt es auch Zusammenarbeiten?
Ich arbeite für eine „classic in the box“ immer mit ganz vielen Leuten zusammen. Ich lande allein auf der Bühne, aber ich mache meistens die Textkürzung mit der Regie zusammen. Die Musikrecherche mache ich alleine, gehe dann aber ins Tonstudio und nehme die Texte mit verschiedenen Sprechern auf. Da arbeite ich mit einem Toningenieur und Musiker. Und dann gibt es meistens noch jemanden, der für Kostüme und Puppen-Design zuständig ist – wenn ich mir das gerade leisten kann.
Machst du deine früheren Gender-Performances heute noch, zum Beispiel deine „Schönste Frau der Welt“?
Ja. Mit 56 ziehe ich mich immer noch halb nackt aus und gehe mit langer Zunge ins Publikum. Und ich habe schon mit 40 gedacht, ich kann das nicht mehr machen. Jetzt bin ich 56 und denke: Jetzt erst recht! Letztendlich ist das feministisch, wenn man das immer weiter macht. Frauen sind nach wie vor auf der Welt in bestimmten Sachen unterrepräsentiert: It’s a Man’s World!
Definitiv.
Wir müssen weiterkämpfen. Deswegen ist es gerade wichtig, dass man zeigt: Hey, wir werden alle alt und dann sehe ich da halt ein paar Falten. Aber gut: Das ist jetzt das Abenteuer Alter. Und wahrscheinlich mache ich die „Schönste Frau der Welt“ auch noch mit 60.
Ich bitte darum!
Ein guter Freund von mir hat gesagt: Das machst du, bis du 80 bist! Und das Gefühl habe ich im Moment auch.
Inwiefern verstehst du deine Arbeit als politisch?
Jede Frau, die sich auf die Bühne stellt und Männerrollen übernimmt, ist komplett gender-politisch. Der Mann, der sich einen Rock anzieht und schminkt und sich in die „schwache“ Rolle der Frau begibt, ist im gewissen Sinne natürlich auch politisch. Aber alle lachen darüber, während die Männer sich oft ziemlich angepisst fühlen und es überhaupt nicht lustig finden, wenn Frauen die Männerrollen übernehmen. Auch privat: Ich rasiere mir ja den Kopf seit 1990, das ist schon total komisch für Männer. Die gucken mich oft irritiert an und denken: Ist das jetzt ein Mann? Eine Frau? Was ist das denn? Da ist wieder so eine Brücke. Ich spiele gerne mit dieser Verwirrung. So wie heute, da bin ich im Nadelstreifenanzug unterwegs gewesen, mit blauem Nagellack und Lippenstift.
Der berühmte Nadelstreifenanzug! Deinen ersten hattest Du mit 17. War das ein erster Schritt in Richtung Gender-Performance?
Ja, diese Nadelstreifenanzüge habe ich schon ewig gehabt und irgendwann musste das einfach auf der Bühne landen. Ich habe mir in New York von einer Drag-King-Ikone 1992 oder 1993 einen Text improvisieren lassen, wie es ist, sich als Frau einen Nadelstreifenanzug anzuziehen. Wie sie das aufpowert, ihr Kraft gibt.
Bei der „Schönsten Frau der Welt“ gehst du ja sehr provokant ins Publikum und spannst so wieder eine Brücke – zwischen Publikum und Performance. Machst du das bei „classic in the box“ auch?
Ja, das ist mir total wichtig. Als ich nämlich Anfang der 90er plötzlich solo auf der Bühne war, dachte ich: Das ist ja toll, ich kann machen, was ich will! Bei den Klassikern gehe ich nicht mehr ganz so provokant ins Publikum. Ein bisschen aber doch, weil ich das nicht lassen kann.
Hast du denn das Gefühl, dass sich an der Rezeption der Zuschauer in den letzten 32 Jahren etwas verändert hat?
Naja… Soll ich erzählen was in Braunschweig passiert ist?
Gerne.
Da wäre ich fast verklagt worden, weil ich halb nackt ins Publikum gegangen bin – bei einer Lecture Performance in Gender Studies.
Nein. Wirklich?
Da waren zwei junge Damen, denen hat das überhaupt nicht gepasst, dass ich sie auch noch angefasst habe. Was ich immer mache. Die sind sofort zur Frauenbeauftragten und haben gedroht mich zu verklagen. Ich musste dann ein Entschuldigungsschreiben verfassen – nicht für meine Arbeit, das hätte ich den Teufel nicht gemacht. Ich habe mich nur dafür entschuldigt, dass ich persönliche Grenzen übertreten habe.
Du hast ja in den 80ern eine Ausbildung zur Gymnastiklehrerin gemacht. Wolltest du in dem Beruf arbeiten?
Ich wollte nie Lehrerin werden. Ich hatte immer die Idee und die Leidenschaft auf der Bühne zu stehen. Innerhalb der Ausbildung mussten wir dauernd irgendwelche Gymnastikchoreographien machen und ich habe das oft kreativ verändert. Weil ich mich nicht anpassen konnte an das, was da verlangt wurde. Ich habe mir die Gymnastik zu Eigen gemacht.
Wie ging es weiter?
In den 80ern konnte ich mit zwei Stunden Gymnastik die Woche meine Miete finanzieren. Das war noch alles sehr billig in West-Berlin. Ich habe dann ganz viel getanzt, mit meiner Company geprobt und kleine Performances gemacht. Aber es gab immer wieder Krisen, wo ich dachte, ich schmeiße hin, ich muss irgendwas Anderes machen.
Wann war die letzte Krise?
Vor zwei Jahren. Da dachte ich dann, scheiße, jetzt bin ich 54 – was mache ich denn jetzt? Bioladen. Callcenter. Im Bioladen haben sie mich nicht genommen. Callcenter habe ich drei Wochen gemacht. Ich wollte das mal ausprobieren. Das war okay. Ich kann das machen. Mal sehen wie es so weiter geht. Mit 56 ohne ein vernünftiges Produktionsbüro Förderungen zu kriegen, wird immer schwieriger. Ich habe jetzt eine Bezirksförderung für mein neues Projekt. Davon kann ich die Anderen ein bisschen bezahlen. Mich nicht. Sehr lustig. Oder auch nicht, nach 32 Jahren auf der Bühne.
Und du machst trotzdem weiter?
Wir sind wahnsinnig. Wir sind getrieben! Ich liebe die Bühne und meine Arbeit. Abgöttisch. Aber warum wird denn das nicht einfacher? Vor zwei Jahren habe ich monatelang nur ausgemistet und archiviert und mich nicht um neue Auftritte gekümmert. Ich habe gedacht: Ihr könnt mich mal. Dann rief Bayer/Leverkusen an, hat vier „faust in the box“-Shows gebucht. Außerdem rief das Kabarett der Namenlosen an, eine 20er-Jahre-Cabaret-Show. Das war eine Traumerfüllung.
Und das war dann der Moment, an dem Du gesagt hast: Jetzt geht’s weiter?
Ja, die Sachen passierten dann von alleine. Weil ich richtig losgelassen habe. Neulich hat ein Kollege auch gesagt: Man muss nur ordentlich drohen, dass man aufhört, dann lassen die einen nicht.
Dieses Interview führte Aïsha Mia Lethen.
Bridge Markland ist Verwandlungskünstlerin. 1961 in Berlin geboren, lebt sie heute immer noch hier. Bekannt geworden ist sie vor allem mit ihren Trans-Gender-Performances. Heute steht sie meist mit ihrer „classic in the box“-Reihe auf der Bühne. Mit ihren Produktionen ist sie international getourt.
Auf dem PAF spielt sie am Samstag, den 17.06. „faust in the box“ in der Brotfabrik: Um 15°° Uhr die Englische Version, um 21°° Uhr die Deutsche. Am Sonntag, den 18.06. spielt sie um 18°° Uhr im Theater O-TonArt „räuber in the box“. Beides für die Generation Popmusik.