Sonntag, 18. Juni 2017

"Die Freie Szene ist mein Zuhause"

© Malte Wunder
Ein Gespräch mit Autorin und Schauspielerin Sarah Dulgeris über Zugehörigkeit, Geschichte(n) und den Versuch, sich davon zu befreien.

von Janne Hagge Elhöfft

Freitagnachmittag. Tag vier des PAF-Festivals. Spontan treffe ich die Autorin und Schauspielerin Sarah Dulgeris zum Gespräch in einem Café am Aufbauhaus. Gerade hat sie Säcke voller Bauschutt, Teil des Bühnenbildes ihrer Produktion, alleine hierher gehievt. Die gelernte Schauspielerin feierte mit „Die Legende von Dimi & Ela“ ihr Debüt als Autorin, in dem sie die Geschichte ihrer Eltern erzählt. Heute wird ihr Stück erneut im TAK gezeigt. Beim Festival ist sie außerdem als Hopperin unterwegs, zeigt verlorenen Festivalbesucher*innen den Weg.

Sarah, bist du ein Familienmensch?

Meine Familie ist sehr zersplittert, zerpflückt, überall. Übriggeblieben ist ein kleiner Stamm von Menschen, die mir sehr wichtig sind und mit denen ich den Kontakt pflege. Aber mir sind auch Freunde sehr wichtig. Ich habe sehr lange und tiefe Verbindungen in meinem Leben. Das klingt jetzt zwar spirituell, aber ich glaube an Seelenverbindungen. Ich habe sowieso das Gefühl, dass das Thema meines Stückes ist, dass Dimi und Ela quasi ineinanderkrachen, weil sie alte Bekannte sind.

„Die Legende von Dimi & Ela“ erzählt die Geschichte Deiner Eltern. Was ist an ihr besonders?


Meine Mutter hat mir immer von der Liebesgeschichte mit meinem Vater erzählt. Dadurch, dass es die Mauer gab, waren die beiden voneinander getrennt. Wie krass das war und wie emotional. Als sie ihn kennengelernt hat, war sie gerade fünfzehn Jahre alt und die beiden haben sich Hals über Kopf ineinander verliebt, sind aufeinander geprallt. Weil mein Vater griechischer Herkunft war, hat meine Großmutter ihre eigene Tochter angezeigt. Dann ist meine Mutter ins Heim gekommen, später kam sie in ein Jugendgefängnis. „Schwererziehbar“, weil sie geliebt hat.

Was hat dich dazu bewogen, diese Geschichte für die Bühne zu erzählen?

Ich bin Berlinerin. Aber mein Berlin war so besetzt mit fremden Geschichten. Mit den Geschichten von meinen Eltern, die nicht mir gehört haben. Davon wollte ich mich befreien. Als Schauspielerin am Theater habe ich irgendwann gemerkt: Wir sind Menschen mit so vielen Geschichten und spielen hier nur lebendige Requisiten. Aber meine Geschichte will ich viel lieber erzählen. Die Entscheidung, ein Projekt als Solokünstlerin zu machen, hatte für mich extrem viel mit Selbstfindung zu tun. Irgendwann wurde mir aber klar, dass nur ich das machen kann, weil nur ich die Sprache dafür habe. Deshalb dann der dramatische Text.

 "Die Legende von Dimi und Ela" © Josefine Hüttig


Also war schon die Auseinandersetzung mit diesem Stoff der Versuch einer Emanzipation von diesen Geschichten?

Bestimmt, denn so war ja der Ansatz: Ich suche jetzt mein eigenes Thema im Leben, meine Kunst und das, was mich eigentlich beschäftigt. Zu einem gewissen Teil ist es die Geschichte meiner Eltern. Aber die Figuren haben ein Eigenleben. Die ähneln wahrscheinlich gar nicht meinen Eltern. Mir war es wichtig, dass die Geschichten erzählt werden und dass sich Menschen damit identifizieren können. Wie ich erinnere, was mir erzählt wurde. Und jetzt bin ich eigentlich wieder beim Thema Identität gelandet. Was ist denn eigentlich meine Identität?

Das wäre meine nächste Frage gewesen. Fühlst du dich als Deutsch-Griechin?

Als ich damals in Moabit zur Schule gegangen bin, war es in meiner Klasse uncool deutsch zu sein. Da habe ich natürlich gesagt, ich sei Griechin, dabei konnte ich noch nicht mal die Sprache. Ich habe eigentlich immer ganz stark nach Zugehörigkeit gesucht. Als Schauspielerin habe ich mich auch nie irgendwo richtig zugehörig gefühlt. Ich hatte nicht das Gefühl ans Gorki zu passen, aber ebenso wenig ans Deutsche Theater. Es ist ja eigentlich mein Beruf, das, was ich gelernt habe, aber es gab da irgendwie eine Barriere, mich dort zu präsentieren, auch weil ich wusste, ich kann da nicht in meine Kraft kommen.

Vielleicht ist es auch eine Identität, die über eine nationale Zugehörigkeit hinausgeht?

Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich eigentlich die ganze Zeit meine Mutter geleugnet habe. Natürlich hat Griechenland in meinem Herzen einen großen Stellenwert, aber ich bin hier in Berlin zu Hause. Das musste ich erst lernen, weil man so einfach in Klischees reinschlittert, die einem nicht gehören. Man tut mir nicht weh, indem man mir eine nationale Zugehörigkeit zuschreibt oder auch nicht zuschreibt. Ich glaube letztlich, dass das, was mich auszeichnet, nicht meine nationale Herkunft ist, sondern meine soziale Herkunft. Ich bin kein Kind aus einem Bildungsbürgerhaushalt, meine Eltern sind halt so durchgekommen. Dass ich mit Menschen aufgewachsen bin die nicht geschont oder geschützt wurden – das macht meine Identität aus.

Du bist Autorin des Stückes, gleichzeitig spielst du in der Inszenierung einen Teil der Rolle der Ela. Ist das ein Balanceakt?

Manchmal sind mir sogar meine eigenen Texte wieder fremd. Ich muss mir das richtig erarbeiten. Meine Regisseurin sagt immer: Sarah, also du musst dich jetzt mal entscheiden. Beim nächsten Stück, das wir machen, wirst du nur schreiben oder nur spielen. Aber auch wenn es anstrengend ist, ich will immer beides machen.

Hier im Theater im Aufbauhaus kam die Szenische Lesung im Februar 2016 zur Uraufführung.

Ja, hier hat es seinen Ursprung. Beim Arbeiten haben wir gemerkt, wie das Material sein Zuhause findet. Aus dem krassen Herzen heraus einfach zu schreiben und zu zerstören. In dem Moment ist es eigentlich egal, ob der Intellekt sich dafür schämen könnte. Und das ist, glaube ich, die große Poesie die dabei entstanden ist, sowohl beim Schreiben als auch während der Proben.

Ihr habt das Stück dann auch an ganz unterschiedlichen Orten gezeigt und gelesen. Wenn du jetzt die freie Wahl hättest, wo würdest du die Arbeit gerne zeigen?

Die Wohnzimmerlesungen, die wir ganz am Anfang hatten, die fand ich wahrscheinlich am schönsten. Wir haben auch einmal in der Probebühne im Deutschen Theater gelesen, damals gab es die Inszenierung noch nicht. Ich habe dazu Wein aufgemacht. Die Menschen sollten sich zu Hause fühlen. Ich finde es spannend, den Rahmen eines herkömmlichen Theaterbesuches zu brechen und zu sagen: Kommt nach Hause, lasst uns betrunken werden. Lasst uns eintauchen, nicht immer diese Membran schaffen zwischen Publikum und Bühne.

Für viele Menschen kann Theater so ein Ort sein.

Für mich ist das heute die Freie Szene. Das war auch der Grund warum ich 2012 in den LAFT gegangen bin, weil ich mich dort zugehörig gefühlt habe. Und auch hier beim Festival habe ich mich an keiner Stelle schlechter gefühlt als andere oder das Gefühl gehabt, dass ich irgendwas nicht kann.

Und dein persönliches Festivalhighlight bis jetzt?

Ich habe gemerkt, dass ich hier zu Hause bin. Das ist ganz verrückt. Beim Festival ist meine Aufgabe als Hopperin, dass ich die Leute, die sich verloren fühlen wieder einfange. Das ist wie Gastgeberin sein. Das ist glaube ich mein persönliches Festivalhighlight, dieses sich treiben lassen, nicht zu wissen was als nächstes kommt und gleichzeitig so fasziniert zu sein von so vielen verschiedenen Orten und Menschen, die man nicht kennt. Die Erkenntnis, dass ich die Qualität habe das zu tun und selber auch vertreten bin beim Festival. Ich gehöre dazu. Das erste Mal in meinem Leben.