Performerin Meme hat einen ganzen Haufen Monster. Einige sind drachenartig, andere eher schwammig. Meme sortiert sie in imaginäre Schubladen und wendet dann ein: Sie könnten auch ganz anders sortiert werden. Nach der Zeit, in der sie leben etwa – Urzeit, Antike, Zukunft. Sie sortiert um. Oder nach der Anzahl ihrer Augen. Aber wo ist denn jetzt genau der Platz des sechsäugigen schwammigen Monsters aus der jüngeren Vergangenheit? Außerdem bleiben sie ja gar nicht unbedingt in der Schublade, in die sie gesteckt wurden. Wenn mensch wieder guckt, sind sie vielleicht längst weg, oder woanders, oder plötzlich zu vielen – eine Monsterparty!
In wenigen Minuten erklärt Meme das Prinzip der Intersektionalität und der potentiellen Fluidität von Gender, ohne komplizierte Worte oder Erklärbärfeeling. Es ist ein Moment des Abends, der funktioniert in seinem Versuch, ästhetisch interessant Inhalt zu übermitteln. Das gelingt leider nicht immer so in Aurora Kellermanns Performance “mixed me” im TATWERK. Eine Skypekritik mit Reflektionsinseln von Aïsha Mia Lethen und Luzi Renner-Motz.
[02:17]
Aïsha: Ich hatte das Gefühl, dass Meme wahnsinnig wütend war. Aus dieser Emotion heraus hat sie die Thematik zu etwas sehr Persönlichem gemacht. Ich habe mich zeitweise unwohl gefühlt, wenn sie den direkten Augenkontakt zum Publikum gesucht hat. Damit saßen wir in der Position der Schuldigen, die aufgeklärt werden müssen mit diesem Informationsstrom.
[02:22]
Luzi: Ich hatte bei den Texten auch häufig das Gefühl, dass die Performance davon ausgeht, uns von Existenz und Legitimität intergeschlechtlicher Personen erst noch überzeugen zu müssen. Und, dass es ein wahnsinniges Bedürfnis gab, uns ganz viel zu erzählen, was die meisten von uns wahrscheinlich ohnehin schon wissen, wenn sie zu dieser Performance kommen.
[02:24]
Aïsha: Und Menschen, die aufgeklärt werden müssten, erscheinen nicht. Diese Performance stellt ja die heteronormativen Vorstellungen unserer Gesellschaft in Frage.
Die Gesellschaft, die eine exklusive, „biologische“ Zweigeschlechtlichkeit zu einem ihrer Grundpfeiler erklärt hat. Es geht an diesem Abend um medizinische und gesellschaftliche Theorien, die sich auf die Ausgrenzung intergeschlechtlicher Menschen stützen, und immer wieder um das Individuum. Der Körper der Performerin Meme wird dabei ständig zum Anschauungsobjekt, das aber zu stark ist, um wirklich objektiviert zu werden.
[02:32]
Luzi: Meme hat mir nach der Performance in einem Gespräch erzählt, dass sie selbst cisweiblich ist. Das geht aus der Performance ja nicht hervor, ist aber eine vielschichtige Inszenierungsentscheidung: Die Performerin spricht dadurch über eine Marginalisierung und Diskriminierung, der sie selbst nicht ausgesetzt ist, während sie über den Abend hinweg doch den Erfahrungen einer konkreten Person zu folgen scheint. Gleichzeitig lenkt diese Besetzung aber die provozierte, hochproblematische Cis-Neugier auf Trans- und Interkörper um auf einen Ciskörper und führt damit das Konzept eines „wahren“ Geschlechtes, das da irgendwo in einem Körper zu erkennen wäre, ad absurdum.
[02:40]
Aïsha: Das ist spannend. Diese Frage habe ich mir selbst nicht gestellt. Das jetzt zu wissen, problematisiert das Ganze wirklich. In der Performance war das aber nichts, was für mich relevant war, gerade um aus dem Denkmuster auszubrechen und jenseits von Geschlechter-Kategorien zu denken. Da stand ein Mensch auf der Bühne. Ein wütender Mensch, der etwas zu sagen hatte.
[02:46]
Luzi: Ich hatte durchaus Schwierigkeiten, das immer gleich so wahrzunehmen. Natürlich gehen mich die Genitalien einer anderen Person absolut nichts an. Dass es als Tabu trotzdem Interesse weckt, hat die Performance mir aber schon immer wieder bewusst gemacht.
[02:51]
Aïsha: Damit hat sie ja auch offensichtlich gespielt, mit ihrer Nacktheit. Sie stellt ihren Körper aus und fordert diesen Blick der Zuschauer_innen.
Meme steht dem Publikum frontal gegenüber. Mit einem roten Edding zieht sie eine Linie über ihren nackten Körper. Sie beginnt zwischen ihren Brüsten und lenkt mit dem Strich den Blick der Zuschauenden ihren Oberkörper hinab. Dann legt sie sich auf einen Tisch unter eine Lampe, die sie anknipst. Sie zieht die Kamera an der Lampe zu sich heran und die Nahaufnahme ihres Gesichtes wird auf eine Stellwand projiziert. Auch die Kamera wandert jetzt ihren Körper entlang.
[03:01]
Luzi: Für mich hat sich über die Performance hinweg kein richtiger Spannungsbogen hergestellt. Ich hatte den Eindruck, bei all dem, was gesagt werden sollte, war für die Dramaturgie nicht mehr so viel Platz übrig.
[03:07]
Aïsha: Ja, das Gefühl hatte ich auch. Das Ganze war eher thematisch-episodenhaft aufgebaut. Der Inhalt stand im Vordergrund, als hätte Kellermann anschließend nach Bildern gesucht für all diese Felder. Es gab nur wenige Momente, in denen das Gesehene mit dem Gesprochenen wirklich verwoben war und dann auch funktioniert hat. Zum Beispiel, als sie vor der sich spiegelnden Stellwand steht und die Fotografien der Menschen, die über Jahre einem binären Geschlecht angepasst wurden, auf ihren Körper gespielt werden.
Während Meme von Genitaloperationen bei Kindern, von deren Agency und vom Liebespfeil der zwittrigen Riesenschnecken spricht, mümmeln vier Schnecken auf einem Erdhaufen auf der Bühne Salat. Meme erzählt, dass sie bei Fragebögen oft schon an der zweiten Frage scheitert, von den Rittern der Ordnung der Biomächte, die über die Monster wachen und sie bei Geburt messen und wiegen, um sie dann in Schubladen zu stecken. Sie problematisiert scheinbar neutralen Sprachgebrauch, der eigentlich so normerhaltend ist und das (eigene) Bedürfnis nach scharfen Grenzlinien.
[03:11]
Aïsha: Mir ist der Moment in Erinnerung geblieben, an dem sie nicht nur alles kritisiert hat, sondern konkret geworden ist in ihren Gedanken und diese Grenzlinien durchbricht: Geschlecht sollte nicht als Spektrum mit zwei Enden verstanden, sondern als Punktsystem gedacht werden. Sich bewegende Punkte in einem Raum. So unbestimmt.
[03: 18]
Luzi: Ja, das ist ein schönes Bild, um ganz von einem Verständnis von Geschlecht als binäre und unveränderliche Kategorie wegzukommen.
Wir wünschen uns beim Zusehen und -hören eigentlich eine Postgender-Performance, die das alles einfach mal als gegeben setzt und schaut, was sich für neue Türen öffnen, wenn Menschen aller Geschlechter stereotypfrei gesehen werden können. Und wissen doch gleichzeitig, dass das in der Gesellschaft, in der wir leben, noch nicht funktionieren kann. Wir müssen einsehen, dass Stücke wie dieses ein Schritt sind auf dem Weg in Richtung der Postgender-Utopie, in der Geschlechtlichkeit keine interpretierbare Kategorie mehr darstellt.