© Holger Dietrich |
Clébio Oliveira zeigt in “Foreign Body” im Dock 11 eine
Figur ohne eindeutiges Geschlecht.
Es ist stockdunkel. Nur das
Licht, das zwischen den Brettern der Wände ein Muster aus hellen Linien ergibt,
ermöglicht Orientierung in diesem industriehallenartigen Raum im Dock 11.
Stille. Dann sind Schritte von klackernden Schuhen zu hören. Wieder Stille. Ein
warmes Licht erhellt den Körper von Clébio Oliveira mitten auf der großen
Bühnenfläche. Ein lockiger Kopf, eine helle Felljacke, mit durchsichtiger
Strumpfhose bedeckte, muskulöse Beine und Stöckelschuhe. Dieser Mantel wird in
der nächsten Dunkelheit abgelegt. Ein Scheinwerfer zeigt Olivieras nackten
Körper – von hinten. Mehr wird mensch an diesem Abend auch nicht zu sehen
bekommen.
Aïsha: Lisa, du
hast dir ja am Freitag schon “Foreign Body” von Clébio Oliveira
angesehen - wie war dein Eindruck vom Abend?
[12:06]
Lisa: Ich muss
sagen, dass ich zunächst etwas unschlüssig war, wie ich mit der Performance
umgehen sollte. Aber ich war beeindruckt von Clébio Oliveiras Bewegungen. Wie
war dein erster Eindruck? Hat es dich verwirrt, dass man nicht einmal sein
Gesicht während der Inszenierung sehen konnte?
[12:08]
Aïsha: Ja, das war definitiv etwas sehr Eigenes. Ich habe ein
Problem damit, jetzt durch Pronomen in diesem Gespräch etwas zu zerstören, was
in der Performance da war – ein Mensch jenseits der Geschlechterkategorien. Wie
geht es dir damit?
[12:11]
Lisa: Ich sehe
es ähnlich. Ich fand es spannend, dass dort ein unantastbarer Körper ist, der sich
nicht einfach in eine Kategorie einordnen lässt. Das ist in jedem Fall gewollt.
Ein Indiz dafür ist, dass der untere Körper mit einer Strumpfhose und hohen
Schuhe angezogen war, was die Gesellschaft als weiblich abstempeln würde.
Jedoch bestand der obere Körper aus einem breiten und muskulösen Rücken.
Während der Performance bemerkt man, wie Oliveira manchmal aus diesen Kategorien
fällt. Wie würdest du das ständige Abknicken in den hohen Schuhen und
Zusammenfallen des Körpers deuten?
[12:21]
Aïsha: Ja, genau deswegen wollte ich da auch hin. Diese
Kategorien sind weggefallen, das hat die Performance geschafft. Und doch ist es
verrückt, dass mensch die verschiedenen Elemente wie die Schuhe direkt
einzuordnen versucht – und so die Ambiguität zwischen Stereotypen sucht, um
loszukommen vom Geschlechterverständnis. Das ist ja paradox in sich. Ich hatte
große Probleme damit, Oliveira auf den wackligen Beinen bei dem
selbstverletzenden Schlagen zuzusehen. Das hatte etwas Zerstörerisches dem
Körper gegenüber. Ich hatte den Gedanken, dass dieser Körper vielleicht immer
wieder zusammenbricht, weil er zwischen den Kategorien nicht existieren kann.
Wo wir wieder beim Verständnis von Geschlecht in unserer Gesellschaft wären.
[12:27]
Lisa: Das trifft
es auf den Punkt. Ich habe die Szenen, in denen sich Oliveira schlägt, auch
als Hass empfunden, weil der Körper ohne eine Kategorie-Zuschreibung nicht existieren
kann. Hattest du zwischendurch das Verlangen Oliveiras Gesicht zu sehen?
[12:33]
Aïsha: Ja,
schon. Ich habe mich auch gefragt, warum wir es nicht zu sehen bekommen, ob das
passiert, weil sich Oliveira nur von hinten einer Zuschreibung entzieht.
Gleichzeitig hat diese Inszenierungsentscheidung einen spannenden Effekt
erzeugt: Niemand wusste, was von der anderen Seite zu sehen ist. Nur das
schwache Spiegelbild in der hinteren Fensterwand hat eine Ahnung davon
vermittelt. Wie erging es dir dabei? In der Vorstellung gestern sind noch in
den ersten 20 Minuten zwei Menschen gegangen.
[12:35]
Lisa: Ich muss
sagen, dass mich die Körperlichkeit fasziniert hat. Gerade die Kombination aus
Haltung bewahren und das ständige leidende Erschlaffen und Einsinken. Allerdings
war ich durch die ständige Wiederholung mancher Bewegungen gelangweilt. Mir
fehlte so etwas wie ein Höhepunkt. Am Ende verliert Oliveira seine hohen
Schuhe und erschlafft in einer Pfütze am Boden. Zum Schluss hört man nur noch
das Aufschlagen der nackten Füße im Wasser. Wie hast du das Ende empfunden?
Fandest du es passend?
[12:41]
Aïsha: Obwohl es
doch Momente gab, in denen Oliveira an Stärke gewonnen hat – der eine Schuh
war ausgezogen und Oliveira hatte den Körper unter Kontrolle. Diese Stärke kam
in den Voguing-ähnlichen Bewegungen zum Ausdruck. Das wurde unterlegt durch die
Musik mit starkem Bass. Wenn dieser androgyne Körper am Ende dann wie eine
Raubkatze auf allen Vieren durch die Pfützen läuft, kommt da etwas Animalisches
raus. Das war ein unglaublich ästhetisches Bild, in diesem diffusen Licht der
großen Halle und mit den Schatten an den Wänden.
[12:45]
Lisa: Ja, ich
mochte durchweg die Ästhetik des Lichtspiels. Mal zielte nur ein Scheinwerfer
auf dem muskulösen Rücken. Und mal stand der gesamte Körper im
Scheinwerferlicht.
[12:46]
Aïsha: Am Ende war nur noch der Herzschlag zu hören, als
Olivieras in der Pfütze lag und das Licht wieder ausging. Diese Dunkelheit hat
wieder einen Moment der Stille gegeben. Kann der Mensch sich in dieser
Unbestimmtheit nicht behaupten in unserer Gesellschaft und bricht darunter
zusammen? Und da ist mir wieder klar geworden, dass das Ganze unglaublich viel
mit eine*m selbst zu tun hat, wie mensch in eine solche Performance hineingeht,
generell Menschen gegenübertritt.
[12:48]
Lisa: Ich glaube
genau diese Frage stand im Raum und sollte in diesem Moment unbeantwortet
bleiben.