Montag, 19. Juni 2017

“Ich habe nicht mehr viel Spielraum für neue Ängste“

Rafat Alzakout ist Schauspieler, Theater- und Filmregisseur. Geprägt hat ihn sein künstlerischer Kampf gegen den syrischen Diktator Assad. Jetzt lebt und arbeitet er in Berlin. Ein Porträt von Lynn-Sophie Uebbing.

© Lynn-Sophie Uebbig

„Du bist nicht mehr du selbst. Das muss alles aufhören. Du sollst desertieren.“ Nur drei Sätze aus dem Stück „Your love is Fire“. Und doch sind die so bedeutend für den Abend – und für seine Erschaffer.

Rafat Alzakout und Mudar Alhaggi verbindet seit Jahren eine enge Freundschaft. Zusammen mit dem Collective Ma’Louba und dem Collective Encounter haben sie mit „Your love is Fire“ ein Stück entwickelt, das ihre emotionale Reise von Syrien nach Deutschland beschreibt. Beide sind wegen der politischen Lage und ihrer Arbeit als Künstler nach Deutschland gekommen. Autor Alhaggi hat zwei Jahre gebraucht, um die Idee für das Stück zu entwickeln. „Kunst braucht eben seine Zeit“, sagt Alzakout, der bei „Your love is Fire“ Regie führte und wie Alhaggi seit November 2015 in Berlin lebt.

Deutschland ist auch ein Ziel, das die Protagonisten in der Geschichte anstreben. Oder zumindest erstmal raus aus Syrien und weg von Bombenanschlägen und einer unsicheren Zukunft. Die zwei Paare im Stück sind dem Leben in Damaskus schonungslos ausgesetzt. Hala, eine der beiden Frauen, möchte zusammen mit ihrem Freund nach Deutschland flüchten. Rand ist mit einem Soldaten zusammen und kann nur flüchten, wenn er desertiert. Beide Frauen teilen sich eine Wohnung. Als Rands Freund für einen 24-Stunden-Fronturlaub heimkehrt, kommt es zur Diskussionen über das Bleiben oder Gehen. Keiner kann aus der Situation heraus, weil der Stadtteil evakuiert wird. Der Autor mischt sich während des Stücks immer wieder ein und versucht eine Entscheidung zu treffen.

Filme über den Ober-Depp

Bleiben oder gehen – die Frage hat sich auch Alzakout gestellt. 1977 geboren, begann seine Schauspielkarriere am Higher Institut for Dramatic Arts in Damaskus, wo er 2003 seinen Abschluss machte. „Theater hat mich schon immer begeistert. Durch die Beschäftigung mit Kunst denkt und liest man viel und entwickelt so seine ganz eigenen Träume und Ideen, die man dann wiederum versucht in Form von Theaterstücken oder Filmen umzusetzen“. Leider waren seine Möglichkeiten in Syrien sehr begrenzt. „Der Sumpf aus Diktatur, Unterdrückung und Zensur wirkt sich stark auf die künstlerische Arbeit aus“, erzählt er. „Es gibt wenig Möglichkeiten Theaterstücke zu schauen und sich künstlerisch weiterzuentwickeln. In Syrien gab es nur eine sehr kleine Künstlerszene. Außerdem muss man seine Idee erstmal der Zensurbehörde vorlegen, dann kommt noch das Besichtigungskomitee hinzu. Vorher läuft da gar nichts“.

Mit der Revolution 2011 wuchs das Interesse an Kunstformen, die Kritik an Baschar al-Assad und seiner Diktatur üben. Damals arbeitete Alzakout bereits als Regisseur. Er ging nach Beirut im Libanon, weil die Arbeit als Künstler in Syrien hoch gefährlich war. Dort ging für ihn das Katz-und-Maus-Spiel weiter. Um sich seinem neuen Projekt zu widmen, legte er sich ein Pseudonym zu: Er führte Regie bei 30 Kurzfilmen, die den syrischen Präsidenten aufs Korn nehmen und ihn in Form einer Puppe lächerlich machen. Der Name der Reihe „Top Goon“ (übersetzt Ober-Depp) spricht für sich. Die Filme waren auf YouTube zugänglich. 

Katz und Maus

Warum das Filmformat? „Damit ich mehr Leute erreichen kann. Beim Theater ist das Sprachrohr deutlich begrenzter.“ Alzakout versucht immer einen Blick dafür zu haben, welches Kunstformat am besten zu welchem Thema passt. Dadurch entstünden die besten Ergebnisse. Erstaunlicherweise sieht Alzakout seine Arbeit nicht als politisch an: „Es geht immer um die menschlichen Details.“ Für ihn steht die Emotionalität der Menschen im Vordergrund und nicht ihre politische Situation. „Sicher ist es wichtig den Krieg zu erwähnen, aber noch wichtiger ist, wie die Menschen mit ihm umgehen“. 

Auch in „Your love is Fire“ geht es darum, wie Kriegs- und Verlusterfahrungen verarbeitet werden. Dabei werden während der Inszenierung Videoclips gezeigt, die die Realität in Syrien zeigen. „Dadurch soll eine neue emotionale Ebene entstehen. Ich möchte den Menschen veranschaulichen, wie es ist, Propaganda ausgesetzt zu sein“. Der Videoclip mit der Katze, die eine Maus jagt, sticht dann doch etwas heraus. „Die Katze jagt die Maus und verletzt sie, bis sie stirbt. Für uns in Syrien war der Kampf ums Überleben Realität. Das wollte ich damit ausdrücken.“

Die Vermischung verschiedener Kunstformen war schon immer ein Teil seiner Arbeit. „Ich versuche in allen Formen Fuß zu fassen, nur so kann man sein Spektrum am Besten erweitern“. Nachdem die Lage in Beirut wegen der Kurzfilme für ihn zunehmend gefährlich wurde, kam Alzakout nach Berlin. Hier lebt er seit November 2015. Momentan hat er eine Aufenthaltserlaubnis für insgesamt drei Jahre, danach muss er weitersehen. „Ich habe viel erlebt und genieße momentan meine Freiheit. Nachdem was in der Vergangenheit so passiert ist, habe ich nicht mehr viel Spielraum für neue Ängste“. 

Was die Zeit bringt

Zusammen mit Mudar Alhaggi und Amal Omran gründete Alzakout Anfang 2017 das Collective Malousch. Durch die Zusammenarbeit mit arabischen und internationalen Künstlern erhofft sich Alzakout eine Mischung aus Theater, Film, Tanz, Musik, Lesungen und Workshops. Im Moment besteht das Kollektiv aus deutschen, französischen, schweizer und syrischen Künstlern. Jeder, der “Leidenschaft für und das Verlangen nach Kunst” hat, ist willkommen, sagt er. Außerdem ist er Teil des Collectives Encounter, das ebenfalls Anfang 2017 gegründet wurde und sich mit Filmprojekten beschäftigen will. „Beide Kollektive sind noch in ihren Anfängen. Man muss sehen, was die Zeit bringt“.

Als Künstler ist es nicht immer einfach, eine Förderung für seine Projekte zu finden. Trotzdem wollten Alzakout und Alhaggi ihren Abend nicht einfach als „Flüchtlingsstück“ verkaufen, nur um an eine Förderung zu kommen. „Für uns war es wichtig, dass der Charakter des Stücks erhalten bleibt. Die Intimität und das Schicksal des Autors sollen präsent sein und an erster Stelle stehen. Nur so kann sich die Geschichte in den Köpfen der Menschen entfalten. Die Politik ist dabei zweitrangig“.