Donnerstag, 15. Juni 2017

Introducing Transformers. Eine Chatkritik.

Wir vom PAF-Blog wollen nicht nur neue Theaterformen sehen, sondern auch eine relativ neue Form der Theaterkritik ausprobieren: die Chatkritik. In diesem Fall haben sich Janne Hagge Ellhöft und Luzi Renner-Motz auf Skype getroffen, um über „TRANSFORMERS“ von KGI gestern Abend im Theaterdiscounter zu sprechen, über Spielclubästhetik, ökonomische Zwänge und Club Mate.

In der Pause von "Transformers" von KGI
© Luzi Renner-Motz

11:48 Janne
Wir waren gestern im Theaterdiscounter bei  „TRANSFORMERS“ von KGI. Kanntest du die Gruppe vorher?

11:50 Luzi
Nein. Das Stück läuft beim Festival ja auch im Rahmen der Newcomer-Plattform „Introducing“. „TRANSFORMERS“ wird vom PAF als „Sprechtheater“ angekündigt. War es das für dich?

11:53 Janne
Eher irgendwas zwischen Tanz- und Sprechtheater. An einem Punkt fiel der Begriff „autistisches Tanztheater“...

11:55 Luzi
Ich finde es immer problematisch, wenn für etwas wie eine Genrebezeichnung Vokabular wie „autistisch“ verwendet wird. Das wird doch sehr schnell stereotypisierend. Für mich war es schon eher Tanz. In einem sehr weit gefassten Begriff natürlich. Körpertheater vielleicht.

11:56 Janne
Ja, das trifft es ganz gut.

11:58 Luzi
Tatsächlich hätte ich mir an diesem Punkt mehr Entschiedenheit gewünscht im Stück. Es gab total spannende Textpassagen, zum Beispiel zur Situation nicht-„deutscher“ Theatermacher_innen in Deutschland: „Meine Qualität ist immer eine ausländische, und ihre linksliberale Qualität ist immer mehr wert. Das spricht nur niemand aus“. Davon hätte ich gerne mehr gehabt! Aber dann ist das Stück schnell wieder zu "pink fluffy unicorns, dancing on rainbows" übergegangen.

12:01 Janne
Diese merkwürdigen Übergänge sind sicherlich dem Zufallsprinzip innerhalb des Abends geschuldet, nach dem die Szenenfolge entschieden wurde. Konntest du mit dieser Idee etwas anfangen?

12:08 Luzi
Kollektivität hat in diesem Zusammenhang für mich eine große Rolle gespielt. Dass niemand als entscheidende Instanz zum Vorschein kommt. Andererseits ist das Stück gerade durch diese Kollektivität und die fehlende Dramaturgie in eine Spielclubästhetik abgerutscht, in der vor allem alle gleich viel Bühnenzeit haben sollen, ob das jetzt spannend ist oder nicht.
Kollektivität wurde auch mit dem eigentlichen Thema des Abends verbunden: Der Verschuldung in den Künsten und einer damit in Verbindung stehenden Verwirrung der Zeitlichkeit. In Bewegungssequenzen wurden andere imitiert, auch in erzählten Geschichten wurde Fremdes zu Eigenem gemacht. Dieser Aneignungsprozess hat natürlich auch immer eine Zeitlichkeit, und kann mit dem Schuldenthema verknüpft werden.

12:12 Janne
Im Festivalprogramm heißt es: „Ein Möglichkeitsraum entsteht, in dem alles, wie es war und sein wird auch ganz anders sein könnte.“ Konzeptionell ist das Ganze auf jeden Fall hochinteressant. Ich mochte es, als der junge Performer Justin uns vom symbolischen und ökonomischen Wert ihrer Arbeit für das Festival erzählt hat. Davon, wie Kunst sich in der Freien Szene wie eine Ware auf den Markt wirft und auch immer so behandelt wird. Alle sind an ökonomische Zwänge gebunden, von den einzelnen Performenden über Spielstätten, Festivals und Geldgebenden bis hin zum Staat. Auch, dass unser heutiges kapitalistisches System seine Wurzeln in der Vergangenheit hat, wird in Kostüm und Bühne thematisiert.

12:16 Luzi
Das Stück positioniert sich im gesprochenen Text ja explizit als "zur Vergangenheit gewordene Gegenwart": KGI hat das Geld bekommen und muss jetzt mit dieser Produktion die (nicht nur finanziellen) Schulden abarbeiten. Wie eine der Performenden sagt: „Wenn wir dieses Stück scheiße machen, oder gar nicht machen, dann sind wir weg vom Fenster.“

12:19 Janne
Und wer entscheidet eigentlich darüber, ob eine Arbeit scheiße ist oder gefördert wird?
Es wurde viel über Mehrwert gesprochen. Waren auf Spendenbasis verteiltes Dosenbier und Würstchen so etwas wie ein Stellvertreter dafür? So nach dem Motto: "Du hast für deine Karte zehn Euro bezahlt, dafür sollst du auch was bekommen"?

12:28 Luzi
Kann sein. Ehrlich gesagt bin ich total ausgestiegen, als auf der Bühne im Zusammenhang mit Mehrwert plötzlich Marx erklärt und dem ganzen irgendwie ein übergreifender theoretischer Kader übergestülpt wurde. Aber die Snackstation war auf jeden Fall eine nette Aktion. Das hat schon mal von vornherein den Kontakt zwischen Publikum und Performer_innen aufgebaut. Es wirkte so, als hätten die Performer_innen da Lust drauf gehabt und das dann einfach mal gemacht.

12:34 Janne
Dadurch hat sicher niemand die Mate für zwei Euro fünfzig vorne an der Theaterdiscounter-Bar gekauft, obwohl der sicher auch darauf angewiesen ist. Bei mir kam dann die vielleicht absurde Frage auf, ob sich die Spielstätten der Freien Szene über den Getränkeverkauf finanzieren. Wenn es dem Festival ein Anliegen war, auf die prekäre Situation innerhalb der Szene aufmerksam zu machen, haben sie es bei mir geschafft!
Ich finde es schön, dass sie einfach das gemacht haben, worauf sie Lust hatten. Dass sie den Zufallsgenerator angeschmissen haben, obwohl sie damit unterwegs ein paar Leute verlieren durch den fehlenden Spannungsbogen. Insofern ist das vielleicht auch als Appell zu verstehen an die Menschen, die in der Szene Entscheidungen treffen.

12:39 Luzi
Ja, ideell ist schon vieles sehr gut nachvollziehbar, was sie da auf der Bühne gemacht haben. Vieles erschließt sich erst durch theoretische Reflexion. Als Stück hat es für mich aus der Publikumsperspektive dramaturgisch eben leider trotzdem nicht wirklich funktioniert.

12:40 Janne
Gerade jetzt nach unserem Gespräch habe ich Lust, eine weitere Aufführung zu sehen. Um zu schauen, wie es beim nächsten Mal funktioniert.