Freitag, 16. Juni 2017

Die Hoffnung auf die Hoffnung ist die Hoffnung

Nach “Don’t Hope” von Martin Clausen und Kollegen im HAU tauschen Lisa Mutschke und
Aïsha Mia Lethen ihre verwirrten Gedanken aus. Von Zeltlager-Atmosphäre und immer neuen Begegnungen. Eine Chatkritik.

Don't hope
© Dieter Hartwig

23:04 
Aïsha: Lisa, wie war der Abend für dich?

23:06
Lisa: Um es in wenigen Worten zu beschreiben: Verwirrend, amüsant und doch gar nicht so hoffnungslos! Und für dich?

23:08

Aïsha: Mir ging es ähnlich. Ich fand es vor allem schwer greifbar. Was vielleicht auch so gewollt war. Im Begleitheft steht "Die Performer*innen beanspruchen sich gegenseitig bis zur Überforderung". Wenn ich jetzt über die Thematik nachdenke, finde ich es auch etwas überfordernd.

23:13
Lisa: Schwer greifbar trifft es gut. Nachdem der bunte Vorhang fiel und die erste körperliche Auseinandersetzung stattfand, war ich hin- und hergerissen. Gerade umarmten sich die Schauspieler noch, schon schlugen sie sich. Wie hast du diese häufig aufkommenden körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Schauspielern empfunden?

23:21 
Aïsha: Dieser gefallene Vorhang hat ja eine ganz neue Situation geschaffen – auf einmal waren die Körper Mittel der Kommunikation und des Aufeinanderzugehens, als die Worte wegfielen. Ich fand das einerseits sehr spannend und andererseits fiel es mir auch immer wieder schwer diese Gewalt anzusehen, mit der sich die zwei Körper begegneten. Wahrscheinlich vor allem, weil mensch nie wusste, wie die andere Person reagieren würde. Und dann war ja auch genau diese Reaktion immer wieder spannend, eben weil sie immer wieder neu war. Das hat sich mir vor allem im Nachhinein erschlossen, als ich las, dass die Performer*innen sich mit Dementen, Fast-Dementen und Nicht-Dementen unterhielten, "als gäbe es zwischen ihnen keine Unterschiede". Da war so viel Instinktives, rational schwer Nachvollziehbares in den Begegnungen.

23:24 
Lisa: Neben den ständig neuen Situationen fielen mir auch die verschiedenen Persönlichkeiten auf. Besonders herausstechend fand ich Martin Clausen, der in schwarzer Unterhose, rotem Pulli, dunkelgrünen hochgezogenen Socken und Turnschuhen eine Zerrissenheit in Person darstellte. Wie fandest du die schauspielerische Leistung?

23:37
Aïsha: Ja, unglaublich vielschichtig. Und eben auch so schwer fassbar, in ihrer Komplexität. Ich fand eigentlich alle sehr authentisch in dieser Zerrissenheit. Mir hat vor allem Peter Trabner gefallen. Ich mochte die Leichtigkeit in seinem Spiel, die einige komische Momente ermöglicht hat. Und am Anfang, das war natürlich grandios, wie er die Frau T. gegeben hat. Da fand ich auch Mario Schulte super. Wie hat dir der Anfang überhaupt gefallen, als die vier noch vor dem Vorhang standen und ihren Text aus der Gesprächsgruppe aus ihren Büchern gelesen haben? Hat ja irgendwie an eine Textprobe erinnert.

23:46
Lisa: Der Anfang war einerseits sehr authentisch. Grund dafür war wohl diese Einfachheit aus vier nebeneinander stehenden Männern, die über einen “Pseudo-Spaziergang” reden. Andererseits fing dort auch schon die Irritation an. War das eine Theaterprobe? Oder ein Symbol der Sicherheit dieser Performance? Für mich war Peter Trabner auch stark. Bei ihm konnte ich direkt eine Verknüpfung zu seiner gespielten Demenzerkrankung schlagen. Gerade weil er am Anfang von Sachen sprach, die die anderen drei nicht sehen konnten und dies auch deutlich betont haben. 

23:52
Aïsha: Du fandest den Anfang irritierend? Ich fand ihn relativ klar in seiner Schlichtheit. Ich mochte dieses doppelte Spiel, dass es einerseits an eine Probe für dieses Stück erinnert und gleichzeitig klar die Situation in der Gesprächsgruppe wiedergegeben hat. Das hat natürlich besonders gut funktioniert in den Momenten, in denen Schulte dann abbrechen und nach Hause gehen wollte. Da haben sich Fiktion und Realität überschnitten.

Don't hope
© Dieter Hartwig
23:55
Lisa: Da hast du Recht. Womöglich hat mich zurückblickend der Anfang etwas irritiert, da es später gar nicht mehr so schlicht war. Ich hätte mir mehr von dieser spielerischen Leistung gewünscht, um das Thema der Demenzerkrankung zu thematisieren. Ich hatte ständig das Gefühl, dass man das Thema angehen wollte, es aber durch die Irritation der ständig aufkommenden Konflikte zerstört hat. Zwischendurch gab es auch Aufnahmen von einer älteren Frauenstimme, die gemeinsam mit einer etwas jüngeren Männerstimme von Zehn runter auf Eins zählt. Hier fehlte mir total der Bezug. War diese Frau dement? Ging es dir ähnlich?

23:56
Aïsha: Für mich stand heute Abend aber nicht das Thema Demenz im Vordergrund, sondern die Frage, wie Menschen sich begegnen, reagieren und überhaupt kommunizieren. Ich fand es gerade schön, dass es eben nicht so konkret als etwas "Anderes" thematisiert wurde, sondern das Menschliche im Fokus stand, egal ob erkrankt oder nicht. Eben alle Individuen, die nicht über etwas Bestimmtes definiert werden. Aber du hast Recht. Diese Einspieler habe ich auch nicht verstanden. Wie so einige Momente in dieser großen Collage von Begegnungen.

23:59
Lisa: Okay, aber da gab es doch auch noch diesen Johannes. Er wurde zu bestimmten Situationen von den Schauspielern dazugerufen und zeigte keinerlei Emotionen. Hatte er eine symbolische Funktion von Hoffnungs- oder Emotionslosigkeit?

00:02
Aïsha: Ja, das waren zum Beispiel diese Momente, die ich nicht ganz verstanden habe. Gleichzeitig war er aber doch auch ein Symbol der Hoffnung für die Anderen, oder? Als Clausen auf Trabner lag und er gerufen wurde, um zu helfen?

00:06
Lisa: Naja, aber die Hoffnung wurde ja nur teilweise erwidert. So öffnete Trabner beispielsweise seine Arme, um Johannes zu umarmen und der ging emotionslos an ihm vorbei. Johannes war für mich eine Art unerreichbare Macht.

00:08
Aïsha: Stimmt. Aber die Hoffnung war da. Und ja, er war in einer Machtposition. Er agierte sehr kontrolliert. Gerade in der Szene als er durch das Publikum ging und von oben herab die Schauspieler und deren Verhalten beobachtet hat, kam das deutlich rüber. Wie hast du denn den Titel verstanden?

00:14
Lisa: Du kannst nicht die ganze Zeit hoffen und kontrollieren, sondern musst auch im Hier und Jetzt leben. Und da zieht sich der Bogen zum "Pseudo-Spaziergang" am Anfang, als die vier Männer über das Leben und ihre Selbstverwirklichung reden. Besonders der ältere Mann, gespielt von Mario Schulte, der in einem schicken Anzug als Einziger vor einem Mikrofon steht, wird aufgrund seines Alters hier als Ideal der Selbstverwirklichung gesehen. Doch er selbst betont, dass es nicht um das Hoffen geht, sondern um das Leben und Leben zu schaffen.

00:19
Aïsha: Und wie hast du den Zusammenhang zum Bühnenbild gesehen? Das große und kleine bunte Zelt hat ja an Camping erinnert.

00:23
Lisa: Für mich hatte es zeitweise eine Stimmung von Zeltlager. Gerade wenn die erwachsenen Schauspieler miteinander spielerisch kämpften, wirkte das manchmal kindisch und erinnerte an Zeltlager-Atmosphäre. Es war zudem ein Raum, in der die Persönlichkeiten sie selbst sein und sich auch emotional öffnen konnten. Fandest du das Setting zu schlicht?

00:25
Aïsha: Nein, mir hat gerade diese Schlichtheit daran gefallen. Und dass es eben ein ziemlich undefinierter Raum war, der so Vieles möglich gemacht hat. Zu der Stimmung im Zeltlager passte ja dann auch die Gitarrenmusik. Wie hat dir die Live-Musik von Doc Schoko, Mario Schulte und Harald Wissler insgesamt gefallen? Und die Lieder, die sie gesungen haben?

00:34
Lisa: Ich fand die melodische Untermalung der akustischen Gitarre sehr passend und trotz der teils hektischen und kämpferischen Auseinandersetzungen beruhigend. Ab Mitte des Stückes kam Schulte mit der Geige hinzu. Die drei Solos spiegelten einerseits die Zerrissenheit und das Sich-Hingeben, aber auch andererseits die Hoffnung wieder. Wie fandest du den Schluss mit dem Solo von Schulte?

00:36
Aïsha: Mir ging es ähnlich. Das war wirklich beruhigend und schön. Ich mochte die Verwobenheit von Spiel und Musik, die dadurch verstärkt wurde, dass eigentlich alle Musiker aktiv im Stück mitspielten. In Schultes Lied, das den Abend so offen hat enden lassen, ist mir die Zeile "Und die Hoffnung auf die Hoffnung ist die Hoffnung" sehr in Erinnerung geblieben. Womit sie einen Bogen zum Anfang des Stückes gespannt haben. Irgendwie spiegelt dieser Satz die Komplexität des Abends ganz gut wider.