Alida Breitag und Robert Hartmann vom Theaterkollektiv Prinzip Gonzo im Gespräch über die Form des partizipativen Theaters und ihren Erfahrungen. Die aktuelle Serienstaffel zu „Monypolo II“ wird heute als Binge-Watching im Ballhaus Ost gezeigt.
© Prinzip Gonzo |
von Lisa Mutschke
Kurfürstendamm. Ein leerer Bürogebäudekomplex. Hier entsteht das Setting zu „Monypolo II“, dem neuen Sandbox-Game von Prinzip Gonzo. An den grauen und unbehandelten Wänden hängen weiße Plakate, überschrieben mit „Lunge, Muskulatur, Körper“. Zur jeweiligen Kategorie gibt es Notizen, eine Art Mindmap. Am Ende des leeren Büroraumes stehen mehrere ungleich große Tische aneinander, bedeckt mit Filzstiften und ebenfalls beschrifteten Plakaten. Alida raucht am Fensterrand, Robert sitzt entspannt auf einem Bürostuhl.
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Kurfürstendamm. Ein leerer Bürogebäudekomplex. Hier entsteht das Setting zu „Monypolo II“, dem neuen Sandbox-Game von Prinzip Gonzo. An den grauen und unbehandelten Wänden hängen weiße Plakate, überschrieben mit „Lunge, Muskulatur, Körper“. Zur jeweiligen Kategorie gibt es Notizen, eine Art Mindmap. Am Ende des leeren Büroraumes stehen mehrere ungleich große Tische aneinander, bedeckt mit Filzstiften und ebenfalls beschrifteten Plakaten. Alida raucht am Fensterrand, Robert sitzt entspannt auf einem Bürostuhl.
Alida, Robert, warum macht ihr partizipatives Theater?
Alida: Es gibt mehrere Aspekte. Vorrangig fällt mir jetzt das derzeitige Projekt „Monypolo II“ ein, in der man eine neue Welt gestaltet. Es ist spannend zu sehen, wie eine Welt auf solch einer Spielebene mit vorbestimmten Regeln funktioniert, das lässt sich schon mit einem Spielbrett vergleichen. Was aber in unseren Formaten oft dazu führt, dass in sich geschlossene utopische oder auch dystopische Welten kreiert werden.
Sind die teilnehmenden Zuschauer dabei frei in ihren Entscheidungen?
Alida: Unsere Spieler sind eingeladen, sich in unserer Welt in einem vorbestimmten Rahmen zu bewegen. Du bist aber total frei in deinen Entscheidungen und kannst die Möglichkeiten, die wir dir bieten nutzen, um damit etwas zu tun oder auch nicht. Es ist wie eine Art Sandbox, bekannt aus amerikanischen Gamingspielen, in der zunächst alles möglich ist. Und was ich dann daraus mache, liegt in der Hand des Zuschauers. Das führt immer wieder zu schönen Erfahrungen, die viel mit der eigenen Reflexion zu tun haben.
Das führt vermutlich auch zu Diskrepanzen zwischen Fiktion und Realität.
Das führt vermutlich auch zu Diskrepanzen zwischen Fiktion und Realität.
Alida: Natürlich. Man betritt in diesem Moment bewusst ein Spiel. Es gibt nicht das Gefühl von richtig und falsch. Sondern es geht um dich, auch um den Schutz einer bestimmten Verabredung. Das ist nicht wie in einem Rollenspiel, in dem ich dir sage: Du bist jetzt die böse Hexe und hast diese und jene Fähigkeiten. Sondern du bist du selber und du trägst auch deine Entscheidungen.
Wie ist die Resonanz der teilnehmenden Zuschauer?
Alida: Wenn da 60 Leute pro Vorstellung dieses Spiel spielen, erlebt jeder von ihnen einen sehr unterschiedlichen Abend. Danach gibt es 60 Erzählungen von dem, was da passiert ist. Im besten Fall hat jeder für sich was mitgenommen oder seine eigene Narration gebaut.
Gab es besondere Ereignisse oder Erfahrungen während einer Aufführung, an die ihr euch erinnert?
Alida: Wahnsinnig viele Momente, weil wir auch immer mitgespielt und jeweils von „Spiel des Lebens“ tatsächlich 20 Vorstellungen gespielt haben. Dort musste das Publikum jedes Mal am Ende entscheiden, ob es wissen wollte, wer das Spiel gewonnen hat. Das war, neben den vielen kleinen Begegnungen, ein spannender Moment, weil man gerade drei Stunden mit diesen Menschen zusammen verbracht hat und dann diese Entscheidung im Raum stand, wie man zu einem gemeinsamen Schluss kommt.
Robert: Für mich war toll und zugleich erschreckend, wie die Spieler in diesem System funktionierten und sich immer mehr hineinbegeben haben. Sie jagten immer hysterischer nach den Punkten. Ich habe bei „Spiel des Lebens“ in der Bank gearbeitet, ein sehr cleaner Raum. Es gab klare Regeln, wie man sich dort zu verhalten hatte. Am Beginn des Abends waren die Leute noch total vorsichtig und voreingenommen. Nach drei Stunden kamen sie nur noch in meine Bank reingerannt und schrien mich an. Man sah förmlich die Dollar-Zeichen in ihren Augen!
Gab es auch Negativbeispiele?
Robert: Wenige. Klar, die Menschen machen komische Dinge, weil sie die Inszenierung als Spiel begreifen und sich auch austesten wollen. Aber nur einmal gab es zwischen mir und einem Spieler eine echte Grenzüberschreitung. Ich wurde mit größeren Knetebällen beworfen, weil er nicht zufrieden war mit der Art und Weise, wie ich als Banker auf ihn reagierte. Ich musste dann in diesem Fall die Polizei rufen – nicht die echte, sondern die Spiel-Polizei.
Aber geht es nicht gerade um dieses Austesten, die Grenzüberschreitung?
Alida: Ja, darum geht es uns auch. In der ersten Stunde geht es erst einmal ums Kennenlernen und sich Aufwärmen. Doch irgendwann merken die Spieler, wie sie in diesem fiktiven Raum funktionieren, dass sie sich frei bewegen können. Im besten Fall übernehmen die Spieler selbst das Feld, breiten sich aus und probieren Dinge aus.
Gibt es bei euch ein Skript?
Alida: Es gibt immer ein Regelbuch, eine Übersetzung des Theaterstücks. Dort wird festgehalten, wie lange die Inszenierung dauert, welche Regeln einzuhalten sind – wie bei einem Brettspiel. Zu jedem Raum und Ort des Spiels gibt es separate Vorgaben. Der Rest bleibt uns und den Performern frei.
Ist das nicht wahnsinnig anstrengend?
Robert: Klar, nach drei Stunden ist man einfach platt. Aber es macht auch unglaublichen Spaß. Jede Begegnung mit einem neuen Spieler beginnt komplett bei Null. Ich weiß nicht, wie er reagiert, was er will. Das immer wieder herauszufinden und zu gucken, wie man die Anderen mit den eigenen Regeln ärgern kann, ist total toll.
Kann man diese Art von Theater mit Improvisationstheater vergleichen?
Alida: Bei dem Improvisationstheater werden ja Sachen hereingegeben. Wir machen ein Angebot für die Leute, die kommen. Wir verteilen keine Rollen an die Schauspieler, sondern Positionen. Es gibt keine Form von Bühne. Uns geht es nicht darum, die Zuschauer in irgendeiner Form auszustellen. Sie müssen nicht bei etwas mitmachen und andere schauen zu. Jeder ist immer in der Mitte des Geschehens und hat meistens überhaupt keine Zeit dafür, sich irgendwelche Sachen von außen anzugucken.
Was ist der Unterschied zwischen Monypolo I und II?
Robert: „Monypolo II“ ist keine Neuauflage. Wir haben diese zweijährige Doppelpass-Reihe mit dem Ballhaus Ost unter dem Namen „Monypolo“. Darin gibt es zwei unterschiedliche Serienstaffeln und zwei unterschiedliche Spiele. In dem ersten Jahr haben wir uns mit der Vergangenheit und der Genese des Kapitalismus beschäftigt, das kulminierte in „Monypolo“. Jetzt im zweiten Jahr haben wir uns auf eine möglichen Zukunft und Vorstellung von Kapitalismus fokussiert. „Monypolo“ ist also eine komplett neue Geschichte mit neuen Regeln.
Der Hauptnenner bleibt aber immer der Kapitalismus.
Robert: Genau, obwohl die Serie als auch das Spiel unterschiedlich aufgebaut sind. Beide beschäftigen sich mit dem Kapitalismuskomplex, nicht nur mit der Kapitalismuskritik. Wir setzen uns damit auseinander, wie wir das Systemen lieben und darin funktionieren können. Der Überbegriff jeder einzelnen Inszenierung funktioniert aber auch für sich alleine.
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Prinzip Gonzo, gegründet 2010, besteht derzeit aus Alida Breitag, David Czesienski, Robert Hartmann, Holle Münster und Tim Tonndorf. Sie arbeiten in wechselnden Konstellationen sowohl in der Freien Szene als auch an Stadttheatern. Bekannt wurden sie vor allem durch partizipative Formate wie „Spiel des Lebens“ von 2014.